Meine Eltern wollten mir den Führerschein nicht bezahlen. – So hab ich es immer dargestellt, aber mein Bruder erinnerte mich kürzlich daran, dass ich dafür doch eine zweite, teure Klassenfahrt mitmachen durfte. Ähm, das habe ich dann wohl erfolgreich verdrängt. Aber, wie auch immer, ich habe den Führerschein nie wirklich vermisst. Als ich mit 22 einen Mann mit Führerschein heiratete, war das zeitweise natürlich praktisch, denn wir wohnten einige Jahre auf dem Land, sehr abgelegen, und wir hatten 3 Kinder, da kann man schon dankbar sein über ein Transportmittel. Jedoch war Geld immer Mangelware, und die Unterhaltung der Kutsche ist nun mal teuer. Wenn das Gefährt den Dienst versagte, waren wir oft lange Zeit aufgeschmissen. Aber als mein Mann vor 23 Jahren starb, begann das – nahezu – absolut autofreie Leben für uns. Mein zweiter Mann hatte den Führerschein ebenfalls nie gemacht, und wir waren mit einem weiteren Baby nun 6 Personen, aber ein Auto vermisste niemand. Zu den öffentlichen Verkehrsmitteln war es nur ein Katzensprung, und Schulen, Kindergarten, Geschäfte, Ärzte gab es auch in der Nähe. Mein Mann liebte das Fahrradfahren und bastelte leidenschaftlich gerne an Rädern herum. Die Kinder hatten ihren Räder bzw. Kindersitze auf unseren Rädern, und mein Mann schaffte noch einen Anhänger an, um die Großeinkäufe zu erledigen. Diesen Job, die Grundnahrungsmittel heranzuschaffen, hat er bis heute inne. Macht er auch besser als ich. Aber mein Fahrrad war auch immer mein kleiner LKW, mit 2 Körben ausgerüstet, begleitete es mich überall hin, bei Einkäufen, Arztbesuchen, zum Job, zu Veranstaltungen, mit der Fähre auf die andere Rheinseite und raus in die Natur. Ich habe immer noch das Gleiche, ein altes, kleines Hollandrad – von meiner Mutter übernommen, als sie nicht mehr fahren konnte.
Ich hatte kein einfaches Leben, und mit 4 Kindern war immer viel los. Mein Fahrrad zu haben, ist daher ein kostbares Stück Freiheit. Zu Fuß kommt man nicht so schnell so weit, und mit dem Auto hängt man in der Großstadt oft im Stau. Aber mit dem Fahrrad bin ich schnell da, wo ich hin will. Bei fast jedem Wetter, bei Tag oder Nacht. Eine kleine Fahrt durch den bewaldeten Rheinbogen, und ich bin wieder „geerdet", das Herz, die Seele lebt auf.
Warum schrieb ich „nahezu" autofrei? Natürlich nimmt mich schon mal jemand im Auto mit, ein Verwandter, eine Freundin, ein Arbeitskollege. Aber es ist die große Ausnahme, und meist dann, wenn es sich einfach anbietet, weil der andere sonst die Strecke trotzdem alleine fährt. Fahrgemeinschaften zu bilden finde ich nützlich (obwohl es, was mich betrifft, natürlich einseitig bleibt ;). Trotzdem machte ich während meiner erst kürzlich beendeten Umschulung die Erfahrung, dass auch eine größere Strecke – morgens 10 Kilometer bis in die City, von dort aus per Bahn weiter, nachmittags die 10 Kilometer mit dem Rad wieder zurück – von mir tatsächlich zu bewältigen war. Mehr noch, nach dem langen Sitzen in der Schule war es eine Erholung, sich an der frischen Luft zu bewegen. Ich war etwas dick geworden, aber nun nahm ich in einem Jahr ca. 15 Kilo ab, bei gesünderer Ernährung natürlich. Aber ohne die Bewegung hätte ich es nicht geschafft. Ich sah auf meinem Weg viele Dinge, die Natur im Wechsel der Jahreszeiten, den Rhein bei Hoch- und Niedrigwasser, im Herbst die fortziehenden Vogelschwärme, den Monduntergang früh morgens über dem Weißer Rheinbogen, dichten Nebel in der Westhovener Aue. Ich machte viele Fotos. All das wäre mir im Auto doch entgangen.
Meine jüngere, heute erwachsene Tochter hat zwar einen Führerschein, aber kein Auto. Sie fährt ein rot angemaltes Fahrrad, das sie „Josefine" getauft hat. Es begleitet sie überall hin. Ein Auto vermisst sie ebenso selten wie ich. Ihr Engagement als Tierschützerin könnte sie per Auto auch nicht so wahrnehmen wie das per Fahrrad möglich ist. Ebenso ergeht es mir als engagierte Baum- und Naturschützerin. Mein Fotoapparat, mein Fahrrad und ich – wir sind ein gutes Gespann.
In der Stadt braucht man doch kein Auto, ja, es ist sogar hinderlich. Kölns Klima wäre auch wesentlich sauberer ohne Autos. Es würden keine Bäume mehr für Parkplätze, Tiefgaragen und ähnliches gefällt, und kein Auto würde beim Parken mehr die Rinde der Bäume beschädigen oder die Baumscheiben verdichten und so den Bäumen die Nährstoffzufuhr abwürgen. Mir als Baumliebhaber wäre die Welt lieber ohne Autos. In den Urlaub? Nur mit dem Zug. Man kann sich bewegen, aufstehen, etwas essen, umherlaufen, schlafen. Ich liebe es, mit dem Zug zu verreisen. Wie viele Spiele haben wir da gespielt, Bücher gelesen, Musik gehört. Sollen doch die anderen im Stau ihre kostbare Lebenszeit vergeuden....
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Judith Langer
"Wir haben in Berlin eine Mauer abgerissen – aber noch ist jede Straße ein Todesstreifen, gesäumt von zwei Mauern aus parkenden Autos."
---- Autofreies Kreuzberg, Berlin
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