Gerechtigkeit ist eines der ältesten Handlungsmotive der Menschheit. Niemand möchte ungerechte Zustände auf Dauer beibehalten. Was gerecht ist, muss für jeden Bereich gesellschaftlich immer wieder neu ausgehandelt werden.
So auch im Verkehr. Was ist hier gerecht? Gibt es ein "Recht auf Autofahren"? Ist es fair, wenn jeder so viel Platz in Anspruch nimmt und so viel rast, wie er will? Oder seine Mitmenschen und die Umwelt rücksichtlos in Mitleidenschaft nehmen darf, nur weil er sich ein teures Auto leisten kann? Oder dass ihm der Staat, also wir alle, auf unsere Kosten Straßen bauen und billiges Öl beschaffen, damit er seine "Freiheit" ausleben - und Menschenleben in Gefahr bringen darf? Wir von autofrei leben! e.V. meinen: Nein!
Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.
Diese alte Einsicht wurde oft zitiert. Nehmen wir sie doch zur Abwechslung mal ernst. Ein Beispiel:
Zwischen mir und dem anderen sind 20m Distanz.
Wo endet meine Freiheit?
In der Mitte!
Jeder hat 10m Platz.
Räumlich gerecht wäre es, allen Verkehrsteilnehmern den selben Platz einzuräumen und bei Platzmangel denjenigen Vorrang (Vorfahrt) einzuräumen, die weniger Flächen verbrauchen, weniger Konflikte verursachen, andere weniger gefährden und die Umwelt weniger belasten. Markus Schmidt hat in "Eingebaute Vorfahrt" gezeigt, welche Kriterien dafür angewendet werden sollten. Aber die Realität sieht leider anders aus.
Der Flächenverbrauch durch den Autowahn ist dermaßen absurd und ungerecht, dass man ihn eigentlich nur mit Bildern verdeutlichen kann. Aber versuchen wir es ersteinmal mit Zahlen.
Autos stehen im Durchschnitt 23 Stunden pro Tag nur nutzlos herum, sind also eigentlich Stehzeuge. In dieser Zeit verbrauchen sie gigantische Flächen, die ihnen (bzw. dem Halter) von den Kommunen, also der Gemeinschaft aller, meist kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Aber ein Auto beansprucht nicht nur die Fläche zum Parken von ca. 12m2, sondern braucht schon mehr Platz zum Rangieren, um auf den Stellplatz zu fahren und ihn wieder zu verlassen. Wenn das Stehzeug dann mal fährt, sitzen im Durchschnitt 1,3 Personen darin, und es verbraucht noch viel mehr Fläche. Selbst ein kleiner Smart mit optimalen Bremsen "schiebt" schon bei 30 km/h dank Sicherheitsabstand und Bremsweg eine Fläche von 16m2 dynamisch vor sich her, bei 50 km/h sind es 30 m2. So passen auf einen Kilometer Fahrbahn gerade mal 60 Smarts (in der Stadt). Dutzende Quadratmeter Boden werden also asphaltiert (!) vorgehalten, nur damit eine Person wenige Minuten pro Tag hochmotorisiert von A nach B kommt. Dieser wertvolle öffenliche Raum wird von uns allen bezahlt und den Besitzern von Autos vor Ihrer Haustür bereitgestellt - eine unglaubliche Ungerechtigkeit!
Zum Vergleich stelle man sich vor, die Kinder von bestimmten Eltern bekämen von staatlichen Schulen Einzelunterricht zu Hause, während die anderen in ein weit entferntes Schulgebäude laufen müssten und dort in übergroßen Klassen lernten.
Demgegenüber benötigen Busse und Bahnen die Sicherheitsabstände nur einmal pro Fahrzeug, auch wenn sie voll besetzt sind. Sie sind auch von morgens bis abends unterwegs, und werden nicht im öffentlichen Raum, sondern in Betriebshöfen geparkt. Ein Fahrrad nimmt noch viel weniger Platz weg: Es ist kleiner, langsamer und viel flexibler als jedes Auto. Und nur selten wird es nachts auf der Straße stehen gelassen. Die zwei Beine jedes Menschen nehmen den geringsten Platz in Anspruch. Fußgänger brauchen den wenigsten Platz im öffentlichen Raum, und werden doch am meisten benachteiligt und gefährdet. Mit einem Auto können auf einer Straße mit Mischverkehr 220 Personen (pro Stunde je Meter Straßenbreite) befördert werden, mit der Straßenbahn sind es 3.500, zu Fuß auch.
Wir meinen, dass der öffentliche Raum nicht pauschal denjenigen zur Verfügung gestellt werden sollte, die am meisten Platz einfordern. Alle Verkehrsteilnehmer sollten räumlich gleichberechtigt sein. Wer mehr Platz beansprucht, muss das begründen. Ein guter Anfang wäre es, wenn jeder Parkplatz im öffentlichen Raum kostenpflichtig wäre, oder Autos für das Befahren von Straßen je nach Anzahl der Mitfahrer eine Maut bezahlen würde.
Langfristig müssen Verkehrsmittel, die pro Person übermäßig viel Platz benötigen, aus den Städten verbannt werden. Parkplätze zu Grünflächen!
Lesen Sie auf der nächsten Seite etwas über Umweltgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und die Ungleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer.
Wer profitiert vom Umwelt- und Naturschutz? Sind unsere Umweltbelastungen sozial und räumlich gesehen gerecht auf die Gesellschaft verteilt? Das Thema "Umweltgerechtigkeit" untersucht den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit, Umwelt- und Naturschutz, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Eindrucksvolle Bilder eines Stadtteilvereins, der für den Ausbau des Straßenbahnnetzes in Heidelberg kämpft.
[taz] Autos bestehen zu fast drei Vierteln aus Metallen. Bei der Förderung der Erze wird wenig Wert auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen gelegt.
Ahne: "Wer Autos anzündet, nimmt in Kauf, dass dabei Menschen verletzt werden."
Und Gott: "Wer Autos fährt, tut das übrigens auch."